Volksbühne Michendorf: Wenn der Papst für den Frieden entführt wird
Den ganzen Oktober über ist in der Volksbühne Michendorf das Stück „Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde“ zu sehen. Es ist die bitterböse Komödie über den blauäugigen Kampf eines jüdischen Taxifahrers für eine Welt des Friedens – mit einem passenden Ende.
Es gibt einen neuen Theater-Genuss in Michendorf – fast wie in seligen Vor-Corona-Zeiten. Die Volksbühne zeigt Steffen Lösers Inszenierung „Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde“ des in Ungarn geborenen Brasilianers João Bethencourt.
Jüdischer Taxifahrer entführt den Papst in die Speisekammer
Die Erwartungen waren schon bei der Premiere am vergangenen Wochenende hoch. Doch wurden sie anfangs insofern enttäuscht, als das Stück trotz Entführungsgeschehen nicht recht in Fahrt kam. Papst Albert IV (Thorsten Reimann) und sein Entführer, der jüdische New Yorker Taxifahrer Samuel Leibowitz (Mario Schüning), führt ein Zufall zusammen. Der notorisch mit skurrilen Einfällen gesegnete Leibowitz nutzt die Gunst der Stunde und nötigt den Papst mit vorgehaltener Waffe, sich von ihm in dessen Wohnung chauffieren zu lassen, wo er ihn in die Speisekammer sperrt.
Dort wird er nacheinander von der Ehefrau des Kidnappers Sarah (Katrin Sasse), vom Sohn Irvin (Tobias Grabowski) sowie der Tochter Miriam (Romana Schneider) entdeckt und schließlich in deren Familienalltag integriert. Kartoffelschälend und koscher essend kommt man sich näher. Es keimt beidseitig echte Sympathie auf. Der löbliche Versuch des reiflich blauäugigen Entführers, durch seine Papstentführung einen „Weltfriedenstag“ zu erzwingen wird unnötig kompliziert, als die Mutter Sarah fahrlässig Rabbi Meyer (Hartmut Kühn) ins Geschehen involviert, der heimlich die Polizei einschaltet.
Die Szenerie in Michendorf spitzt sich immer weiter zu
So gerät das Unterfangen, global einen Tag im Jahr festzusetzen, an dem sich alle Staaten, Organisationen und Privatpersonen verpflichten, niemanden zu töten, plötzlich in Gefahr. Bald darauf wird das Haus des Taxifahrers von Armee und Polizei belagert. Der waffenkundige Leibowitz aber hat seinen Garten vorsorglich mit Sprengfallen gesichert, die er kindlich naiv sogar zündet. So spitzt sich das Geschehen am Haus des jüdischen Friedensaktivisten Leibowitz weiter zu und selbst das Erscheinen des vatikanischen Parlamentärs Kardinal O’Hara (Volker Figge) bringt ihn nicht zur Aufgabe.
Obwohl Leibowitz zum Schluss tatsächlich der große Coup, einen Weltfriedenstag zu stiften, gelingt und 24 Stunden lang kein Mensch mehr gewaltsam stirbt, beginnt der nächste Tag weltweit mit neuem Töten und Leid. Bethencourts bitterböse Komödie wirkte in der Inszenierung von Steffen Löser manchmal etwas aufgesetzt klamaukig und einigen Darstellern misslang eine glaubhaft differenzierte Figurenzeichnung. Der Premierenapplaus des trotzdem gut unterhaltenden Publikums brandete besonders laut auf als sich Katrin Sasse verbeugte. Ihre lebensklug leise aber dabei energisch und warmherzig agierende Sarah wird auch als Beleg für jüdischen Mutterwitz in Erinnerung bleiben
Weitere Vorstellungen8. und 9.10. jeweils 19.30 Uhr, 10.10. um 17 Uhr; 15. und 16.10. jeweils 19.30 Uhr, 17.10. um 17 Uhr; 22. und 23.10. jeweils 19.30 Uhr, 24.10. um 17 Uhr.
Von Lothar Krone
MAZ vom 5. Oktober 2021